Johanna Sebauer, 1988 in Wien geboren und in einem kleinen burgenländischen Dorf nahe der ungarischen Grenze aufgewachsen, hat Politikwissenschaften und Journalismus in Wien, Aarhus, Santiago de Chile und in Hamburg studiert und lebt heute in Hamburg.
Während der Zeit ihres Studiums hat Johanna Sebauer ihre ersten literarischen Gehversuche gemacht, Lesungen gehalten und Kurzgeschichten veröffentlicht. Es folgten diverse Stipendien, Residenzen und Preise.
Für die Arbeit an ihrem Debütroman »Nincshof« hat sie Stipendien des österreichischen Kulturministeriums, des Kulturreferates des Burgenlandes sowie der Hamburger Kulturbehörde erhalten. Eine erste Fassung des Romans wurde 2019 mit dem Burgenländischen Literaturpreis ausgezeichnet.
Johanna Sebauer ist außerdem Mitglied des Hamburger writers' room und Teil der monatlichen Lesebühne "Zinnober" in der Zinnschmelze Barmbek. Abseits des Schreibens arbeitet sie in der Wissenschaftskommunikation.
Foto: Birte Filmer
FRAGEN AN JOHANNA SEBAUER
Wie kam es zu der Idee für den Roman »Nincshof«?
Ich habe schon lange die Idee zu einer Geschichte mit mir herumgetragen, in der in meiner Heimat, dem kleinen Burgenland, etwas Großes passiert. Eine umstürzlerische Bewegung, eine kleine Revolution vielleicht. Die Vorstellung, dass in diesem verschlafenen Landstrich der politische Kampfgeist erwacht und eine Umwälzung stattfindet, war einfach zu absurd. Deshalb musste ich darüber schreiben. Da aber jede andere Form des Umsturzes zu gewaltvoll für das gemütliche Burgenland wäre, war der Oblivismus, das Vergessen-werden-Wollen, eine gute Möglichkeit, diese Geschichte zu erzählen.
Heutzutage wollen alle gesehen werden und so viel Aufmerksamkeit wie möglich auf sich ziehen. Die Hauptfiguren des Romans aber wollen vergessen werden. Wie kann das sein?
So aus der Zeit gefallen ist der Gedanke gar nicht. Wenn man überlegt, was zuletzt in der Welt so los war: Pandemie, Krieg, Inflation, Klimwandel und das politische Gezanke über all das. So abwegig ist es doch nicht, da nicht mehr mitmachen zu wollen und leise aus der Welt auszusteigen, oder? Außerdem ist das Vergessen-werden-Wollen insofern bezeichnend für unsere Zeit, als dass wir von allem zu viel haben. Ununterbrochen. Und Trends wie Minimalismus, Meditations-Retreats, Achtsamkeit sind doch alles Reaktionen auf dieses Zu-Viel. Der Oblivismus ist vielleicht die radikalste Variante des Weniger, das so viele Menschen aktuell anstreben.
Für viele Menschen ist die Vorstellung auf dem Land in einem Dorf zu leben, eher grauenvoll. Warum hast Du ein Dorf als Schauplatz für Deinen Roman gewählt?
Für manche mag es stimmen, dass ein Leben auf dem Dorf grauenvoll ist. Für manch andere ist es die Erfüllung. Die Überschaubarkeit kann sehr anziehend sein. Auf dem Land gibt es Ruhe, Platz, um sich auszudehnen, und außerdem, und das vergessen viele, oft gut funktionierende Netzwerke. In der Stadt ist vieles unpersönlicher, das hat Vorteile, kann aber auch Nachteile haben. Die Geschichte meines Romans hätte in der Stadt ganz anders funktioniert. Die Überschaubarkeit der Kulisse und des Personals war wichtig für die Erzählung.
Eine der Hauptfiguren ist die rund achtzigjährige Erna Rohdiebl. Warum hast Du eine so alte Frau gewählt?
Erna Rohdiebl war im Grunde der Ausgangspunkt des ganzen Romanprojekts. Die Figur kam vor Jahren schon einmal in einer meiner Kurzgeschichten vor. Sie war mir irgendwie sympathisch und ich wollte an ihr weiterschreiben. Das liegt vielleicht daran, dass ich Menschen interessant finde, die schon einen Großteil ihres Lebens und so viele Geschichten hinter sich haben.